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  • Autorenbilddiedreißigerin

Am Ende des Tages bin ich doch immer die Bitch – und stumm.

Vor ein paar Tagen war ich laufen, es war noch ziemlich kalt, also zog ich die lange Hose, Jacke, Handschuhe und Stirnband an. Eigentlich gehe ich lieber vormittags, weil mir am Nachmittag und Abend am Inn immer zu viel los ist, an diesem Tag hatte ich aber abends starke Kopfschmerzen und wollte einfach raus. Ich bin meine übliche Runde gelaufen, hab die Gedanken schweifen lassen und der Sonne beim Untergehen zusehen können. Es war schön, der Kopf wurde immer freier und die Laune besser. Auf dem Rückweg ist ein Mann mit Rad an der Seite des Weges gestanden, ich bin vorbei, er ist aufgestiegen und neben mir hergefahren, uns trennte nur der kleine Grünstreifen zwischen Geh- und Radweg. "Hopp, hopp", war die erste Bemerkung, ich hab sie ignoriert und das Tempo angezogen. "Lass uns ein Wettrennen machen", war die zweite Aussage, auch diese habe ich unkommentiert gelassen. "Was ist jetzt, geht schon", war die dritte Aufforderung mit leicht aufgebrachtem Tonfall. Ich habe meinen Blick weiterhin nach vorne gerichtet und möglichst sachlich geantwortet: "Danke, ich laufe lieber allein!", und dann war es da, das Wort, welches mir schon so oft von wildfremden Männern vor die Füße geworfen wurde – "BITCH".

 

Die Straße war still, im Kopf war's laut.

Und nachdem er es ausgesprochen hatte, mitten auf einem belebten Weg, ist er davongefahren und ich bin weitergelaufen, als ob nichts wäre. Es dauerte ein paar Minuten bis alles sacken konnte, ich bin die letzten zehn Minuten meiner Runde so schnell gelaufen, dass ich kurz eine Pause machen musste, bevor ich die Stiegen zu meiner Wohnung raufgehen konnte. Rein, Tür zweimal zugesperrt und dann hab ich geweint, wütend geweint, mit Schuhen und Handschuhen an. Es ist nicht so, dass es etwas Neues für mich ist, auf der Straße von Männern belästigt zu werden, egal ob untertags oder wenn es schon dunkel ist. Ich habe gelernt zu ignorieren, das wurde mir schon früh beigebracht, Blickkontakt meiden, schnell weitergehen, Straßenseite wechseln, nicht reagieren und vor allem nicht die Konfrontation suchen. Aber die Fassade bröckelt, zu oft bin ich schon mit verletzenden Worten von Wildfremden beschossen worden, zu oft habe ich jegliches Gefühl unterdrückt und ein Hineinspüren vermieden, zu oft habe ich mich so verhalten, als müsste ich solche Situationen wortlos hinnehmen und sie als Bürde einer jeden Frau akzeptieren.

Kennst du doch schon.

Weinen musste ich nicht besonders lange, ich war ja auch mehr wütend als traurig, aber nachgedacht habe ich noch Tage über diesen Zwischenfall, über diese absolute Frechheit und über dieses Wort – Bitch – das Männern wie auch Frauen so leicht über die Lippen zu gehen scheint. Als Bitch musste ich mich schon oft beschimpfen lassen und ich habe dieses Wort auch schon öfter selbst in den Mund genommen, es ist salonfähig geworden, wenn Frauen einander so nennen, bekommt es fast einen neckischen Charakter, manchmal sogar einen empowernden. Aber wenn ein Mann es ausspricht, zeigt sich ein böser Beigeschmack. Bitch dient der Bezeichnung von Frauen, die durch eine grundsätzlich aggressive Haltung auffallen, sowohl untereinander als auch gegenüber dem männlichen Geschlecht, bestimmt und / oder autoritär handeln und sich somit nicht dem devoten Rollenbild einer Frau unterordnen. Kurz gesagt bist du ironischerweise eine Bitch, wenn du stereotype Verhaltensmuster eine Mannes aufzeigst. So gesehen, müsste ich mir fast auf die Schulter klopfen, dass dieser aufdringliche Vollidiot mich so genannt hat, aber es schwingt auch immer die sexualisierte Bedeutung mit – "Schlampe".


In unzähligen und sehr unterschiedlichen Situationen wurde ich schon von Männern als Bitch beschimpft, nicht weil ich ein autoritäres Verhalten an den Tag legte oder mich in irgendeiner Weise aggressiv oder anzüglich verhielt, sondern weil ich nicht das getan oder gesagt habe, was sie wollten. Ich war auf Tinder eine Bitch, weil ich nicht auf obszöne Fotos reagiert, nicht sofort geantwortet, ich einer Meinung widersprochen oder weil ich mich gegen herablassende Aussagen gewehrt habe. Aber nicht nur online sondern auch auf der Straße, weil ich Schuhe mit Absätzen zu einem Kleid getragen, nicht auf Pfiffe reagiert, plumpe Anmachen abgelehnt und manchmal auch einfach nur, weil ich in den Augen eines Mannes falsch geschaut habe. Diese Art von sexualisierter Sprache wird von Männern benutzt, um ihre Macht zu demonstrieren, zum Bloßstellen, um Frauen ihren Willen aufzudrängen und als Ausdruck von Gewalt. Bitch ist herablassend, erniedrigend und teilt Frauen nicht nur mit, dass sie "falsch" handeln, sondern auch, dass sie wertlos und verachtet sind. So gut wie jedes Schimpfwort für Frauen ist sexualisiert, umgekehrt gibt es für Männer kaum eines. Und ganz ehrlich, ich bin es leid!


Stumm, aber nicht mehr leise.

Ich bin es leid und ich bin vor allem wütend. Wütend, weil ich keine einzige Frau in meinem Umfeld kenne, die nicht mindestens eine solche Situation selbst erlebt hat. Wütend, weil egal ob am Arbeitsplatz, in der Freizeit oder im Internet Frauen sexistisch beleidigt werden und männliche Sprachgewalt tagtäglich erleben und wütend, weil Frauen zu ihrer eigenen Sicherheit stumm bleiben müssen. Im Hinterkopf bestimmt nämlich immer die Angst, dass uns etwas Schlimmeres als eine Beleidigung widerfährt, unser Handeln. Ich attackiere einen Mann nicht verbal zurück, weil er stärker ist, weil er körperlich überlegen ist und weil ich mir nie sicher sein kann, wie mein Gegenüber tickt, vor allem nicht, wenn ich alleine bin. Traurigerweise bin ich aber meistens alleine, weil Sprachgewalt gegen Frauen zum Alltag gehört, niemand mehr hinhört, niemand einschreitet und es geduldet wird. "Vergiss es einfach", aber vergessen kann ich nicht, nur drüber reden und schreiben.

Oft bin ich aber auch einfach nur sprachlos, maßlos überfordert mit dieser absoluten Frechheit, dieser Ungerechtigkeit und diesem Ausgeliefertsein zu jeder Tages- und Nachtzeit und in jedem Kontext. Sexistische und übergriffige Sprache beschränkt sich auf keine Altersgruppe, keinen Bildungsgrad und keine Örtlichkeit und am schlimmsten, sie wird von vielen geduldet, weil es ja "nicht so gemeint war", weil wir im Job keine Probleme machen wollen, weil wir im Bekanntenkreis nicht als Zicke dastehen möchten, weil Männer es ja nicht besser wissen. Wie es wohl umgekehrt wäre, wie wohl Männer auf verbale Attacken auf offener Straße reagieren würden – kaum vorstellbar, Frauen die Männer grundlos belästigen und damit seit Jahrzehnten durchkommen.


Die strukturellen Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft werden sich wohl erst ändern, wenn noch viel mehr aufgeklärt und über Missstände gesprochen wird und das Frauenbild sich in unseren Köpfen ändert. Aber wir können zusammenhalten, misogynes Verhalten offenlegen, einschreiten, wenn es möglich erscheint und auf belebter Straße möchte ich mich in Zukunft sehr wohl auch verbal wehren. Und wir können auf Männer hoffen, die Kollegen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie sich daneben verhalten, die uns nach Hause begleiten, die sexualisierte Sprache ablehnen und Frauen in jeder Situation mit Respekt begegnen – solche Männer gibt es nämlich ebenfalls genug.

 

Wer nun sagt, dass Feminismus überflüssig sei, soll sich Gedanken machen, wie oft er selbst schon auf offener Straße grundlos beschimpft wurde, überlegt hat, welches Outfit zu welcher Uhrzeit ok ist, welche Route die sicherste ist, ob der Akku noch für den Heimweg hält, ob die Schuhe auch zum Wegrennen taugen, ob im Dunkeln zu joggen zu gefährlich ist, wie der Pfefferspray im Ernstfall funktioniert und ob die anderen hoffentlich auch gut nach Hause gekommen sind.


Und dann stelle ich sie mir vor, die Tage, an denen ich nur im Sport-BH laufen gehe ohne dass es jemanden interessiert, untertags die kurzen Shorts trage ganz ohne Kommentar von Fremden, abends die hohen Sandalen zum Kleid wähle ohne Pfiffe im Ohr, ausgelassen im Club tanze ohne aufdringliche Berührungen, alleine heimspaziere und noch einen Umweg gehe, weil der Sternenhimmel so schön ist, dabei Musik höre und mich nie umdrehe, den Schlüssel erst bei der Türe aus der Tasche hole und schlafen gehe, ohne schreiben zu müssen, dass ich sicher zuhause bin, weil es eine Selbstverständlichkeit ist.

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