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Die Frau mit den roten Schuhen!

Es war einer dieser ersten frühlingshaften Morgen, die Luft war noch ein bisschen kühl, der Asphalt nass vom Regenguss und die Vögel zwitscherten bereits in allen Tonlagen. Ein Samstag, früh aufgewacht, wenig zustande gebracht und schlussendlich entschlossen, in die Stadt zu gehen, um der Prokrastination zuhause zu entfliehen. Ich trug Jeans, die schwarzen Sneakers, einen grauen Pullover und den langen Wollmantel, der eigentlich schon ein bisschen zu warm war. Meine leicht fettigen Haare waren zu einem Dutt gezwirbelt und meine Wimpern ein bisschen getuscht, hätte ich einen Ex getroffen, wäre ich im Erdboden versunken, aber für die Anonymität der Stadt war’s okay. Ich liebe die leeren Straßen in den frühen Stunden am Wochenende, vor allem, wenn das Wetter unbeständig ist, fühlen sich meine Routen an, als würden sie nur mir gehören. Nicht an diesem Tag.


Schon bevor ich sie sehen konnte, hab ich sie gehört. Ihre gleichmäßigen aber bestimmten Schritte, das Klick Klack ihrer Absätze am Asphalt füllte die Fußgängerzone der Einkaufsstraße. Endlich erhaschte ich einen ersten Blick. Ihre Haare waren gelockt, etwas zu viel für meinen Geschmack, so, wie frau sie zu einem besonderen Anlass tragen würde, und blond mit einer Tendenz zu gelb-orange. Sie trug eine schwarze Lederjacke und die engsten Jeans, die ich seit langem gesehen hatte. Ihre Silhouette sah fabulös aus, wie aus einem lateinamerikanischen Musikvideo, ein wohlgeformter und üppiger Po und ordentliche Schenkel. Und dann natürlich diese Schuhe, Stilettos, die viel zu hoch waren, für diese Uhrzeit und viel zu rot für die noch verschlafene Stadt. Vorne Spitzig und hinten geschlossen, dezent glänzend und mit einem Riemchen um den Knöchel, dort wo die enge Röhre der Jeans endete.

Ich bin ihr gefolgt, obwohl ich in die andere Richtung wollte, aber irgendwie konnte ich mich nicht von diesem Anblick lösen. Sie stöckelte mitten durch diese Straße, einen Fuß vor den andern, als wäre es ihr eigener Laufsteg. Es lag fast ein bisschen Empörung in der Luft, kaum jemand konnte sie nicht begutachten, diese Frau, die hier einfach so frech selbstverständlich durch die graue Masse stolzierte. Es wurde gestarrt, mit den Augen gerollt, getuschelt und einige wenige haben ihre Augenbrauen verzogen. Aber das hat sie nicht von ihrem Weg abgebracht, wie gerne hätte ich sie von vorne gesehen und wie gerne hätte ich sie gefragt, was ihr auf diesen 100 Metern, auf denen ich sie still begleitet hatte, durch den Kopf gegangen war. Ich kehrte um und verschmolz mit dem Grau der Stadt, nachgedacht habe ich noch viele Stunden über dieses Bild, die Frau mit den roten Schuhe



Blicke, die die Seele durchbohren.

Für mich gibt es wohl kein schlimmeres Gefühl als zu wissen, dass Menschen mich anschauen und dann klar ersichtlich beurteilen. Ich kenne diese Blicke, wenn ich rote Lippen trage, mit höheren Schuhen in die Schule gehe oder auch einfach nur ein Kleid trage. Nichts ist unangenehmer, als aus der Masse zu stechen, nichts beunruhigender, als nicht dazu zu gehören und nichts nervenaufreibender, als die stillen Urteile auszuhalten. Vielleicht hat mich diese Frau deshalb so beeindruckt und mich noch lange grübeln lassen.

Natürlich hatte ich mir auch gleich meine Meinung gebildet. Für mich war sie eine Janine, ziemlich sicher eine Kosmetikerin oder auch irgendeine Sekretärin, die ihrem Chef jeden Morgen einen Verlängerten richtet und über das Kommentar zu ihrem zu kurzen Rock eine Stimmlage zu hoch kichert. Sie geht aufgetakelt an einem Samstagmorgen durch die Stadt, weil sie bereits in ihren Dreißigern ist und verkrampft nach einem Mann sucht. In meiner Vorstellung ist ihr Make-up etwas zu dunkel und ihre Augenpartie überschminkt, ihr Parfüm vermutlich einen Tick zu süß und ihr Nägel sind spitzig gefeilt und kunstvoll verziert. Janine schaut gern Reality-Shows, kauft in Läden ein, die viel zu laute Musik spielen und geht regelmäßig ins Solarium, nachdem sie auf ihrem Crosstrainer geschwitzt hat.

Um an diesem Morgen mit Janine zu tauschen, hätte mir jemand richtig viel Geld zahlen müssen. Ich hab die Blicke gespürt, obwohl sie gar nicht mir galten und war völlig überfordert damit, dass sie sie aushalten konnte und weiterhin selbstverständlich einen Fuß vor den anderen setzte. Vielleicht hatte sie die Reaktionen nicht bemerkt, vielleicht waren sie ihr egal oder vielleicht hat sie sich in diesem Moment auch unsicher gefühlt und ihr Unwohlsein mit extra viel Selbstbewusstsein überspielt.

Meins und deins!

Es ist schon gemein, wie über Frauen geurteilt wird. Wäre ein Mann mit schönem Hemd und auffälligen Schuhen durch die Stadt gegangen, hätten ihm die Leute vermutlich ein wichtiges Meeting oder besonderes Event zugeschrieben. Männer werden auch nicht mitleidig angeschaut, wenn sie alleine in einer Bar sitzen, nicht als billig abgestempelt, wenn sie sich ausleben und nicht mit arrogant betitelt, wenn sie selbstsicher auftreten. Frauen stehen hingegen ständig in der Kritik, fürs zu viel und zu wenig Sein, für ihr Auftreten, ihr Äußeres, ihre Entscheidungen und ihr Benehmen. Wenn du ein Burn-out haben möchtest, dann probier als Frau zu entsprechen.

Ich hab mich später geschämt für meine Gedanken über Janine, eigentlich ist sie meine Heldin. In einer anderen Welt ist sie gerade zu ihrem fetten Auto spaziert, weil sie an diesem Tag noch zu einem wichtigen Meeting in München musste. Natürlich hat sie rote Schuhe getragen, sie zeigt nämlich auch optisch, dass sie das Sagen hat und die knallenge Jeans trägt sie bewusst, weil ihre Rundungen einfach großartig darin aussehen. Ihre Nägel sagen ebensowenig über ihre Intelligenz aus wie ihr zu süßes Parfüm und das Tollste an der ganzen Sache? – Janine interessiert es nicht im Geringsten, was andere über sie denken, weil sie sich genau so mag, wie sie ist.


Ich hingegen, die ihr Leben lang schon lieber grau als bunt durch die Straßen geht, muss mir immer wieder vorsagen, dass die Meinung anderer nichts mit mir zu tun hat und ich nicht sofort von diesem schönen Planten verschwinde, wenn jemand mein Tun und Sein missbilligt. Janine hab ich zu meiner offiziellen Cheerleaderin erklärt, die mir in meiner Vorstellung zuzwinkert, wenn ich am Hadern bin, ob das Outfit nicht zu gewagt oder die Tasche nicht zu rot ist. Immer öfter erwische ich mich dabei, Blicke bewusst zu provozieren, mich selbst in unangenehme Situationen zu schupsen und aufgeregt zu warten, was denn nun wirklich passiert. Die Erkenntnis: NIX, absolut nada und niente.

 

Wenn du solche Gedanken nie hast, dann darfst du dich glücklich schätzen. Ich bin ein bisschen neidisch, aber ich gönne dir von Herzen, dass du unbeschwert durchs Leben tänzeln darfst. Wenn dein Alltag jedoch von Selbstzweifeln und Angst vor Beurteilung geprägt ist, dann kann ich dir nur raten, immer wieder einmal ins kalte Wasser zu hüpfen, an Janine zu denken und genau das zu tragen und zu tun, worauf du Lust hast.






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